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Oh, tgei biala schibetta...

Glimmende Scheiben am Sternenhimmel

Kultur brennt: Als glimmende Scheibe am Sternenhimmel beim Trer Schibettas. Kultur lodert auch: Als Feuer in den Herzen derer, die mit Trer Schibettas aufgewachsen sind. In Danis-Tavanasa oder in Dardin. Schon seit Jahrhunderten. Kultur ist Urkult. Und umgekehrt. Oh, tgei biala schibetta …

Urkult und Kultur: Trer Schibettas
Das Scheibenschlagen ist ein uralter Brauch heidnischer Herkunft. Er wurzelt in grauer Vorzeit, wo die kalten Winter todbringend waren und sich die Menschen nach dem Frühling sehnten, der neues Leben versprach. Mit den glimmend leuchtenden Schibettas wollten die ersten Bewohnerinnen und Bewohner des Tales den Winter vertreiben. Erst im Laufe der Zeit kam eine weitere Bedeutung hinzu: Jede Schibetta wird einem geliebten Mädchen gewidmet. Früher war der uralte Brauch weit verbreitet. Heute findet er sich in der Surselva nur noch in Danis-Tavanasa und in Dardin wieder.

Jeweils am Samstag vor dem Fastensonntag, bei Einbruch der Nacht, ziehen die Knaben und ledigen Burschen der Dörfer hoch auf die Hügel und zu den traditionellen Abschlagstellen. Jeder trägt eine Fackel, eine lange Haselrute und selbstgeschlagene Holzscheiben, seine Schibettas, mit sich. Am Abschlagplatz angelangt, werden die Schibettas einzeln auf die Haselruten gesteckt, über dem Feuer zum Glühen gebracht und anschliessend ab der Abschlagstelle weit hinunter ins Tal geschleudert. Jede Schibetta wird von einem lauten Ruf begleitet – einer Widmung an ein geliebtes Mädchen: «Oh, tgei biala schibetta per la Catrina … per la Flavia … per la Magdalena.» Mit dem Flug der letzten Scheibe kehren auch die Burschen ins Tal zurück. Dort warten die Mädchen, für die die Schibettas bestimmt waren und bedanken sich mit einer Einladung ins Haus und mit frisch gebackenen «Fasnachtschücheli» – patlaunas frestgas gest ord furnel!

Schibetta für eine Dame

Oh, tgei biala schibetta per la Catrina

Schibetta für eine Dame

Oh, tgei biala schibetta per la Catrina

In Danis-Tavanasa dürfen Buben ab der dritten Klasse am Trer Schibettas mitwirken. Antonin Friberg, Präsident der Jungmannschaft von Danis-Tavanasa, erinnert sich noch gut an sein erstes Mal: «Ich konnte es kaum erwarten, bis ich endlich alt genug war und mitmachen – und wahnsinnig lange aufbleiben durfte!» Antonin war der Älteste in seinem Jahrgang. Was bedeutete, dass ihm an seinem ersten Trer Schibettas auch gleich der Eröffnungsschlag zustand.
Eine riesige Ehre für den kleinen Antonin, der sich vorkam wie ein ganz grosser Mann. Damit er seinen allerersten Schlag nicht verhauen würde, übte er vorab. Mit den verkohlten Scheiben vom letzten Jahr, die er vorausdenkend eingesammelt hatte. «Die brennen nicht ganz ab. Die brennen nur bis zur Landung.» Als es ernst galt, traf Antonin. Die Schibetta flog. Er widmete sie einem Mädchen aus seiner Schulklasse. Hätte er nicht getroffen, hätte er sie wohl dem Fussballklub aus dem Nachbardorf gewidmet – «Oh tgei bi tgagia rar pil Club da ballapei …» Das macht man so bei «abverheiten» Schlägen. Man widmet die Schibetta jemandem, den man nicht mag.
Die Schibettas, die Antonin an seinem allerersten Trer Schibettas abschlug, hatte er mit dem Vater zusammen angefertigt. «In der dritten Klasse machst du dreissig Scheiben, in der vierten vierzig, in der fünften fünfzig und so weiter. Erst hast du eine halbe Stunde pro Scheibe, dann wirst du immer schneller. Blasen an den Händen gehören dazu. Das störte mich nie. Jede Scheibe ist nämlich vor allem eins: eine Vorfreude!» Verarbeitet wird Erlenholz aus den umliegenden Wäldern. Der Stamm wird zersägt und gespalten. Die Blöcke mit dem Schindelmesser geteilt, mit dem Beil behauen und mit dem Zugmesser bearbeitet. Am Schluss entsteht eine handgrosse Scheibe mit einem Loch in der Mitte. Die Kunst des Schibetta-Machens ist uralt und wird von Generation zu Generation weitergegeben. Vom Vater zum Sohn. Vom grossen Bruder zum kleinen Bruder. Jede Schibetta trägt die Handschrift seines Machers – und die seiner Vorfahren. «Meine Schibettas sind anders als die meines Kollegen. Ich kann nur meine, er kann nur seine! Genau das macht es aus.»

Von Generation zu Generation

Jede deiner Schibettas trägt die Handschrift deiner Vorfahren

Von Generation zu Generation

Jede deiner Schibettas trägt die Handschrift deiner Vorfahren

Eine gute Schibetta ist nicht zu dick, nicht zu dünn und hat in der Mitte ein Loch, das exakt auf das angespitzte Ende der Haselrute passt. Auch die ist wichtig und wird von den Burschen sorgfältig ausgewählt. «Die erstbeste ist es nie! Du nimmst drei, vier Ruten mit nach Hause und probierst sie erst einmal aus.» In die beste werden aufwendig die eigenen Initialen geschnitzt. Als kleiner Junge träumte Antonin davon, eine goldene Haselrute zu finden – ina torta magica d’aur. Aus dem Fels gezogen wie das Schwert Excalibur. Statt Excalibur fand er Corylus avellana – besser bekannt als die gemeine Hasel. Davon dafür die schönsten Exemplare. Nebst Schibetta und Rute spielt die Wurftechnik eine entscheidende Rolle für einen möglichst weiten Scheibenflug. Es gibt in jeder Generation die, die ihre Schibettas weiter ins Tal treiben als alle anderen. Antonin geht es längst nicht mehr nur um den gelungenen Schlag. Gemeinsam mit den anderen jungen Frauen und Männern der Jungmannschaft Danis-Tavanasa ist er massgebend für die Organisation des Spektakels in Danis mitverantwortlich. Die Jungmannschaft fällt mit der Unterstützung weiterer Vereine und freiwilliger Helfer die Bäume für Trer Schibettas, stellt die Festwirtschaft auf, holt die nötigen Genehmigungen ein und organisiert die Abfallbewirtschaftung. Mit ihrem Engagement helfen die jungen Leute, den uralten Brauch am Leben zu erhalten – und ihn in die heutige Zeit zu tragen. Etwa, wenn es darum geht, den Mädchen die Arbeit rund ums Trer Schibettas zu erleichtern. Statt sich von ihnen im Zuhause bewirtschaften zu lassen, wird man zukünftig wohl gemeinsam im Festzelt feiern. «Wir müssen mit der Zeit gehen – und das ist richtig so!» In einer Zeit, die einen Urkult zu verändern vermag, ist es wohl einzig die Veränderung, die den Urkult in die Zukunft rettet. Und auch das ist Kultur. Sie lebt und verändert sich. La cultura viva – viva il Trer Schibettas.